Das Berliner Heizkraftwerk Reuter West versorgt rund 440.000 Wohnungen mit Wärme und etwa eine Million Haushalte mit Strom. Kurz nach einer geplanten Revision musste auf Grund einer geborstenen Dampfleitung einer der beiden Kraftwerksblöcke abgeschaltet werden und eine aufwendige Fehlersuche begann.
Die zwei baugleichen Kraftwerksblöcke des im Nordwesten von Berlin liegenden Heizkraftwerks gingen 1987 und 1989 in Betrieb. Sie arbeiten nach dem Prinzip der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) und produzieren mit einem Gesamtwirkungsgrad von rund 80% gleichzeitig Strom und Wärme. Pro Tag verheizt das Kraftwerk etwa 3.300 Tonnen Steinkohle, die zuvor in Mühlen zu feinen Staub zermahlen und in die Heizkessel eingeblasen werden. Die Temperatur in der Brennkammer erreicht dabei bis zu 1200°C. Jeder Block verfügt über einen Dampferzeuger, der pro Stunde ungefähr 1000 Tonnen Frischdampf mit 540°C und einem Druck von 196 Bar produziert. Der überhitzte Dampf durchströmt eine dreistufige Dampfturbine, die daraus eine elektrische Leistung von maximal 300 MW erzeugt. Außerdem wird eine thermische Leistung von bis zu 363 MW ausgekoppelt und in das Berliner Fernwärmenetz eingespeist.
In regelmäßigen Abständen wird abwechselnd einer der beiden Blöcke heruntergefahren und einer umfassenden Inspektion und Wartung unterzogen. Nach einer Revision im Herbst des letzten Jahres, trat bei einem der Dampferzeuger kurz nach dem Hochfahren unerwartet ein Schaden auf. Im überhitzten Dampfbereich des Kessels war ein Rohrstück aufgeplatzt. Für die Reparatur musste der Block nochmals abgeschaltet werden. Allerdings ließ sich keine Ursache für dieses Ereignis finden. Direkt nach der erneuten Inbetriebnahme gab es an anderer Stelle wieder einen ähnlichen Rohrschaden. Normalerweise treten solche Beschädigungen auf Grund von Verschleiß auf, wenn die Rohrwandstärke nicht mehr dem Druck standhält. Dies konnte aber hier mittels entsprechender Untersuchungen ausgeschlossen werden.
„Wir vermuteten, dass dieses Problem auf eine thermische Schädigung an diesem Abschnitt zurückzuführen ist. Falls, infolge einer Blockade, der Durchfluss einer Leitung im Dampferzeuger deutlich reduziert wird, kann eine Materialschädigung durch Überhitzung auftreten und das Rohr aufplatzen“, meint Uwe Schulz, Ingenieurassistent für IT und Leittechnik bei Vattenfall. „Wir konnten in dieser Rohrleitung aber keine Blockade feststellen. Auch mittels Endoskopie und dem Durchspülen mit Wasser war nichts zu finden, was ein Durchströmungsproblem hätte auslösen können. Wir haben daher angenommen, dass ein Fremdkörper im Rohrsystem vagabundiert. Sobald der Druck zurückgeht, fällt dieser über dickere Rohre weiter zurück und bleibt irgendwo im Rohrleitungsnetz liegen. Wenn wir den Block hochfahren, wird das Teil durch den Dampf mitgerissen, bis es abermals an einer Verengung hängen bleibt.“
Auf beiden Seiten des Heizkessels steht jeweils ein Teilsystem |
Dicke Kabelstränge von den Temperaturfühlern gehen direkt |
Für die Reparatur musste der Heizkessel nochmals abgeschaltet und abgekühlt werden. Allein die Abkühlung dauert etwa 12 Stunden und die gesamte Instandsetzung ungefähr eine Woche. Kurz nach dem der Kraftwerksblock wieder in Betrieb war, trat das Problem erneut an anderer Stelle auf. Es war deshalb eine Lösung erforderlich, die eine mögliche Überhitzung schnell erkennen kann, und zwar noch bevor ein Schaden auftritt. Dazu wurden Temperaturfühler an allen in Frage kommenden Rohren angebracht. In dem Bereich, indem bisher die Probleme aufgetreten sind, umfasst das Rohrsystem insgesamt 612 Einzelrohre. Rund 200 Messstellen waren schon von früheren Messungen vorhanden, der Rest musste nachgerüstet werden. Nicht ganz einfach war jedoch die rasche Beschaffung eines geeigneten Messsystems mit mehr als 600 Messkanälen. Vattenfall hatte bei Yokogawa bereits ein modulares Datenerfassungssystem GM10 bestellt, dieses verfügte aber nur über 200 Kanäle und sollte eigentlich ein altes Messsystem in einer anderen Anwendung ablösen.
„An einem Freitag kurz vor der Auslieferung kam der Anruf aus Berlin, dass für eine Fehlersuche möglichst kurzfristig das beauftragte System mit 612 Kanälen ausgestattet werden sollte“, erzählt Dennis Kreutzer, Spezialist für Datenerfassungssysteme bei Yokogawa. „Ich habe noch am selben Tag telefoniert, um die restlichen 412 Kanäle aus verschiedenen Demosystemen unserer europäischen Niederlassungen auszuleihen und nach Herrsching liefern zu lassen. Bereits am Montag hatte ich ein Datenerfassungssystem mit der notwendigen Kanalzahl zusammengestellt und am Mittwoch war ich schon in Berlin.“
„Das modulare GM10 System hat uns
durch die einfache Bedienung überzeugt.“
Innerhalb einer Woche wurden die Kabelstränge von den Thermoelementen direkt an das System angeschlossen. Um Zeit und Kosten für eine aufwendige Verkabelung zu sparen, steht das Messsystem nicht, wie sonst üblich, im rund 400 Meter entfernten Messtechnikraum, sondern in Form von zwei Teilsystemen unmittelbar neben dem Heizkessel auf rund 60 Meter Höhe über Grund nahe der Kesseldecke. Die 600 Messkanäle werden in Echtzeit mit der Online-Monitoring-Software GA10 überwacht. Da dort oben im Kesselhaus kein LAN bzw. WLAN verfügbar ist, müssen die Messdaten für die weitere Auswertung per Datenträger abgeholt werden.
Im Temperatur-Zeit-Diagramm ist der Temperaturverlauf der |
Sten Raebiger (Vattenfall) und Dennis Kreutzer |
„Mit Hilfe des Datenloggers konnten wir sehen, dass 4 Rohre aus dem normalen Temperaturbereich herauslaufen, wobei sich bei einem eine extreme Abweichung zeigte. Wir haben diese Leitung dann aufgeschnitten, mit einem Endoskop durchsucht und fanden an einem Ventil tatsächlich einen Fremdkörper, und zwar ein Bruchstück eines Schleifsteins“, erklärt Stefan Bach, Asset Management bei Vattenfall. „Derartige Schleifkörper werden nach dem Schweißen der Rohrleitungen verwendet. Dieser muss wohl abgebrochen und ins Rohr gefallen sein. Seit wir dieses Fragment entfernt haben, ist der Fehler nicht mehr aufgetreten. Ganz sicher, dass dies die Fehlerursache war, sind wir allerdings erst nach einem längeren störungsfreien Betrieb und wenn der Kraftwerksblock erneut herunter und hochgefahren wurde. Schließlich könnte der Fremdkörper nun an einem Ort liegen, an dem er momentan nicht stört. Ohne das Yokogawa Messsystem hätten wir jedenfalls den Fehlerort nie so schnell eingrenzen können. Es steht nun noch ein Versuch an anderer Stelle aus, dann wird diese Interimslösung wieder zurückgebaut.“
Vattenfall hat bereits seit vielen Jahren verschiedene Datenlogger von Yokogawa im Einsatz. Als ein weiteres Datenerfassungssystem mit hoher Kanalzahl benötigt wurde, fiel die Wahl nach einer umfangreichen Suche erneut auf eine Lösung von diesem Hersteller. „Wir haben von Anfang an nach einem System mit 400 Kanälen gesucht, aber zunächst nur 200 Messkanäle bestellt, um alles zu testen. Überzeugt hat uns die einfache Bedienung und Einbindung in übergeordnete Systeme. Ebenfalls sehr wichtig war für uns die Flexibilität des Messsystems und die schnelle Reaktion des Yokogawa-Teams. Mit diesem Messsystem können wir nicht nur Temperaturen, sondern auch Spannungen und weitere Parameter messen“, fügt Sten Raebiger, Leittechniker bei Vattenfall hinzu.
Vattenfall Europe Wärme AG
Berlin/Deutschland
www.vattenfall.de
Der GM10 ist ein flexibler Datenlogger, der sich durch eine hohe Zuverlässigkeit und eine einfache Nutzung auszeichnet.
Die Datenerfassungssysteme von Yokogawa bieten Ihnen höchste Flexibilität und Leistungsfähigkeit zur Messung, Anzeige, Speicherung und sogar zur Auslösung unterschiedlichster physikalischer oder elektrischer Phänomene.